Ich erinnere mich mit gemischten Gefühlen an meine Kindheitssonntage. Es wurde ausgeschlafen, bis wir die Augen nicht mehr zubekamen, zum Frühstück gab es ofenwarme Brötchen und Toast, danach hingen wir vor dem Fernseher herum und erspürten, wie unsere Gehirne bei Diese Drombuschs irreparabel schrumpften. Soweit der gute Teil.
Wenn es Kaffeezeit wurde, sank die Stimmung jedoch rapide. Das lag daran, dass die gestrenge Frau Mama über die Jahre ein etwas eigenwilliges Hobby entwickelt hatte, nämlich gesundheitsfördernden Kuchen zu backen. Dabei wurden die Erzfeinde Fett, Zucker und Cholesterin gnadenlos verfolgt und ausgelöscht. Heraus kam ein mit Hilfe von Süßstoff, selbstgeschrotetem Dinkelmehl, Apfelpektin und unheiligen Beschwörungsformeln hergestelltes Kuchenimitat. Fettfrei, zuckerfrei, cholesterinfrei, insgesamt: kuchenfrei. Dem gestrengen Herrn Papa und mir fiel die Aufgabe zu, unsere allwöchentliche Enttäuschung zu verbergen angesichts des Gebildes, das bretthart war, nach Pappe und Achselhöhle schmeckte und äußerlich nur bei schummeriger Beleuchtung an einen Kuchen erinnerte. An den Adventssonntagen ahmten wir sogar Wohlgefallen nach.
Dennoch hat meine sonntags erworbene Schauspielkunst mir nicht im Geringsten geholfen, beim Optiwell Joghurtgenuss Pfirsich-Maracuja die Contenance zu bewahren.
Der Joghurt präsentiert sich in einem ungewöhnlichen, nierenförmigen Becher aus durchsichtigem Plastik. Das wirkt freizügig, auf den konservativen Betrachter gar ein wenig frivol. Auch der Deckel, der einen Teil des Inneren notdürftig bedeckt, bietet keine wirkliche Privatsphäre. Lustvoll posaunt er intimste Daten in die Welt: 0,1 Prozent Fett, 57 Kalorien auf 100 Gramm, hört, hört! Die Maracuja hat jegliches Schamgefühl über Bord geworfen und präsentiert uns ihr zerfurchtes Inneres, was sie lieber sein gelassen hätte. Im krassen Kontrast dazu der auf Topmodel gebürstete Pfirsich gleich hinter ihr. "Pfirsiche könntet ihr sein", ruft dieser Joghurt uns zu, "ihr alle könntet Pfirsiche sein, pralle, festfleischige, sexy motherfucker!"
Wer noch in dieser erotischen Phantasie versunken den Deckel hebt, der wird von der Realität recht unwirsch in Empfang genommen. Wer nach dem unbeschönigt-chemischen Geruch noch kann, wendet sich dem Inhalt zu. Der ist gelb-weiß gestreift, wie früher die Strandbälle. Ach ja, früher, als wir uns noch an den Strand getraut haben. Los, probieren. So schlimm wird es schon nicht sein. Es ist so schlimm. Sogar richtig widerlich. Es hilft kein Rühren - dieser Joghurt ist absolut genussfrei. Dann doch lieber gar nichts essen.
Wäre Optiwell Joghurtgenuss ein Kuchen, er wäre nicht mal bei der gestrengen Frau Mama als solcher durchgegangen.
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1 Kommentar:
Auch wenn mir die persönliche Erfahrung mit Optiwell fehlt, so hatte ich doch nie das Bedürfnis, mich in diese Niederungen der Abfallverwertung zu begeben (kann dieses zeug etwas anderes sein?). Schondeswegen nicht, weil diverse Optiwell Produkte auf Magersüchtigen-Blogs als großartige Ersatznahrungsmittel angepriesen werden. Und den Hasen glaube ich zwar einiges, aber nicht, dass sie genussvoll essen.
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