Dienstag, 20. Januar 2009

Merl Kirsch-Dessert

Menschen, die sich für Künstler halten, begeben sich gerne in lächerliche Situationen, die sie hinterher als Grenzerfahrungen umdeuten. Zum Beispiel neulich.

Ich saß mit einer Freundin in einer Gaststätte, der Abend war jung, das Männermaterial trieb uns aus verschiedenen Gründen die Tränen in die Augen. Tequila sollte das Anästhetikum der Wahl sein. "Der ist aus!", trötete das Bedientier. Ich tippte blind in die Getränkekarte und las vor: "Eierlikör." Das Bedientier tauchte verdächtig lange unter die Theke ab, kam mit einer Flasche pastösen, gelblichen Inhalts wieder hervor und löffelte mir eine Portion des Flascheninhalts in ein Schnapsglas. Traurigkeit senkte sich auf mich herab.

Dieses aufregend pointenlose Erlebnis führt uns direkt zu unserem heutigen Besprechungsgegenstand. Die Verpackung des Kirsch-Desserts von Merl macht gleich klar, worum es geht: Eierlikör. Als See hat er sich auf dem gesamten Etikett ergossen. Die Kirschgruppe am oberen Bildrand wirkt eingeschüchtert. Offensichtlich handelt es sich um Nichtschwimmerkirschen. Die Schichtenskizze informiert den technisch orientierten Konsumenten: Um die Eierlikörmenge muss man sich wirklich keine Sorgen machen.

Derart eingestimmt fährt der Löffel freudig in das vierschichtige Dessert ein. Der intensiv-alkoholische Duft betäubt umgehend, so lässt sich der sensorische Eindruck vorerst gut ertragen. Bisquit und die namensgebenden Kirschen sucht man geschmacklich allerdings vergebens. Die ganze Welt ist Eierlikör. Und süß ist sie, die Welt, auf bedrückende Weise süß. Spätestens nach Löffel Numero 3 macht sich im Mundraum ein unangenehmes Erleben breit. Ein Blick in die Zutatenliste verrät, was der Zunge verborgen bleibt: Dieses Dessert enthält tatsächlich Spuren von Milch. Der Magen sendet eindeutige Zeichen des Unbehagens. Einfach nicht drüber nachdenken. Auch dieser Becher ist irgendwann leergelöffelt.

Ein Dessert wie ein Nachmittag bei der Oma. Man ist erleichtert, wenn es vorbei ist.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Im Kontrast zu obenstehender Rezension steht der textliche Wahnsinn, den die Firma Merl zu ihren Desserts auf der eigenen Homepage abfeuert. Ich zitiere:

"Vergessen Sie alles, was Sie bislang an Desserts probiert haben. Die frischen Desserts aus der MERL-Patisserie schmecken unvergleichlich gut. Probieren Sie diese Streicheleinheiten für den Gaumen und für einen Augenblick wird alles andere zur Nebensache. Ein Genuss-Erlebnis für die Sinne mit hohem Suchtfaktor. Und das hat gute Gründe: Unsere Desserts werden noch von echten Patissiers kreiert, die auf Basis feinster Konditoren-Kunst verführerische, kulinarische Kunstwerke schaffen – aus besten Zutaten und ohne jegliche Konservierungsstoffe. Die attraktiven Pokal-Becher sind außerdem aromaversiegelt, so dass der gute Geschmack voll erhalten bleibt. Mmmmh – wie phantastisch das schmeckt!"

Pe hat gesagt…

"Die frischen Desserts aus der MERL-Patisserie schmecken unvergleichlich gut."

Bei "unvergleichlich" stimme ich vorbehaltlos zu.

Anonym hat gesagt…

außerdem sehe ich meine erwartung an den begriff "pokalbecher" DEUTLICH enttäuscht.

gerdbrunzema hat gesagt…

@Siepert77 Diese "Pokale" eignen sich übrigens sehr zum aufbewahren von Eitemperafarbe.

Nach dem Verzehr sollte man vermutlich aber etwas mit dem Malen warten...


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